Wird die Energiewende ein Erfolg?
Ja, wenn sie globales Wachstum fördert und die Erderwärmung begrenzt.
Sechs Wochen vor der Klimakonferenz in Paris diskutierten wir am 15. Oktober 2015 in Berlin in diesem internationalen Zusammenhang über die Weiterentwicklung der deutschen Energiewende.
If.E Innovationsworkshop 2015
Thomas Trutschel (IG BCE)
Verbindliche Ergebnisse zum Klimaschutz
Deutschland und die Innovationskraft seiner Unternehmen spielen eine Vorreiterrolle beim Erreichen der globalen Klimaschutzziele. IG-BCE und If.E-Vorsitzender Michael Vassiliadis warnte im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Paris davor, der hiesigen Industrie nicht noch mehr einseitige Lasten zu Gunsten überambitionierter CO2-Einsparungen aufzubürden.
Während des 2. Innovationsworkshops des If.E in Berlin brachte Vassiliadis die Unverhältnismäßigkeit, die Deutschlands Vorpreschen in Sachen Klima aufwirft, auf den Punkt: „Es ist ja schön und gut, wenn man vorne weg marschiert. Aber wenn man hinter sich schaut, und da ist keiner, der einem folgt, dann ist das schlecht.“Beim Innovationsworkshop wurde deutlich, wie gut aufgestellt deutsche Unternehmen bei Lösungen für den weiteren Weg der Energiewende sind. Diese könnten jedoch durch wirtschaftliche Ungleichheiten unter Druck geraten. Vassiliadis nannte dabei den bislang auf Europa beschränkten Emissionshandel und die durch Fracking gestützten niedrigen Energiepreise in den USA. „Wir müssen den Beispielcharakter der Energiewende erweitern. Es muss klar werden, dass ambitionierte Klimaschutzziele und Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten zwei Seiten einer Medaille sind“, sagte Vassiliadis. „Wir brauchen weltweit einen einheitlichen CO2-Preis. Damit wird der Klimaschutz nach vorne gebracht und zugleich Wettbewerbsneutralität gewährleistet.“ Um dieses Ziel zu erreichen, sei ein global organisierter Emissionshandel ein geeignetes Instrument.
Thomas Trutschel (IG BCE)
Rede Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, hob in ihren einleitenden Worten hervor: „Wir wollen gemeinsam den Erfolg der Energiewende. Erfolg ist nur nachhaltig, wenn er alle drei Dimensionen – ökonomisch, ökologisch und sozial – abdeckt.“ Von daher gelte es, beständig nach Gemeinsamkeiten zu suchen und Lösungen zu finden.
Zu Beginn Ihrer Rede zeigte sich Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter zuversichtlich, dass von der COP-21 in Paris eine weitreichende Botschaft ausgehen wird. „Es bewegt sich etwas in Fragen des Klimaschutzes.“ Im Gegensatz zu früher sind dieses Mal insbesondere die Regierungen der USA und China beim Klimaschutz konstruktiv dabei. Infolgedessen wird Deutschland mittel- bis langfristig in Sachen Debarbonisierung weiter voranschreiten. „Wir werden bis Ende des Jahrhunderts auf fossile Energien verzichten.“ Ändern wird sich im Laufe der Zeit folglich die Art und Weise, wie Energie erzeugt wird und wie der Energieverbrauch aussieht. Allerdings wird der Wandel Jahrzehnte dauern.Bewusst sprach Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter in diesem Zusammenhang von „Effizienz und nicht von Suffizienz“. Sie unterstrich, dass Deutschland vor einem gewaltigen Strukturwandel steht. Hierfür sind dauerhaft tragfähige Lösungen zu suchen. Der Industriestandort Deutschland ist weiter zu entwickeln. Kurzum: Es bedarf gemeinsamer Konzepte für den Strukturwandel, der regionale Strukturbrüche vermeidet.
Dabei sind noch folgende ungelöste Herausforderungen zu bearbeiten: Netzneu- und Netzausbau, Strommarktdesign, Förderung Erneuerbarer Energieanlagen, Antriebssysteme der Zukunft im Mobilitätsbereich sowie Umwelt- und Naturschutz. Hierfür sind Innovationen nötig, die die Grundlagen für zukünftige Investitionen sein können und den Motor unserer Industriegesellschaft bilden. „Wenn wir aufhören, neue Wege zu gehen, dann werden wir auf Fragen der Zukunft, keine Antworten finden.“
Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter zeigte sich überzeugt davon, dass in Paris die Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt werden. Folglich muss ein ehrgeiziges Klimaschutzabkommen
- nationale Klimaschutzbeiträge aller Staaten umfassen,
- einen Ambitionssteigerungsmechanismus beinhalten, der sich an einem klimapolitischen Langfristziel orientiert,
- sowie robuste, rechtsverbindliche Regeln für Transparenz und Auslegungsfragen beinhalten.
Mit Blick auf die Klimaziele über 2020 hinaus muss das Ziel sein, den deutschen Kraftwerkspark neu auszurichten und immer stärker auf Erneuerbare Energieanlagen und immer mehr auf Energieeffizienz zu setzen. Trotz der eher mittel- bis langfristigen Transformation gilt es laut Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter sich hinsichtlich folgender Elemente ehrlich zu machen:
- Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung ist innerhalb der nächsten 30 Jahre unumgänglich.
- Je früher und schrittweise der Ausstieg angegangen wird, desto planbarer und sozialverträglich gestaltbarer wird der Strukturwandel erfolgen können.
- Klimaschutz und Strukturwandel ermöglichen neue wirtschaftliche Chancen.
- Gewerkschaften und Politik sind Partner bei der Bewältigung dieser Herausforderungen.
Von daher gelte es, dass Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften beständig nach Gemeinsamkeiten suchen und Lösungen zur erfolgreichen Gestaltung der Energiewende finden.
Thomas Trutschel (IG BCE)
Podiumsdiskussion Innovationsworkshop
Michael Schmidt, seit Mai 2012 Vorsitzender der BP Europa SE, und seit Mai 2014 des Mineralölwirtschaftsverbandes, wies zunächst darauf hin, dass seit Mitte/Ende der 1990er Jahre BP als weltweit erstes Mineralölunternehmen die Tatsache akzeptiert, „dass es den von Menschen gemachten Klimawandel gibt“.
Dementsprechend hat BP Maßnahmen gegen den Treibhauseffekt ergriffen, auch wenn dieses bei Commodities nicht so in der Öffentlichkeit sichtbar sei. Als Beiträge zur Energiewende nannte Herr Schmidt neuartige Schmierstoffe um Reibungswiderstände zu reduzieren, moderne Kraftstoffe zur Leistungssteigerung sowie Bitumen um Rollwiderstände zu verringern. Obwohl in den Industrieländern eine Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum und Energiekonsum in den letzten Jahren erreicht wurde, wird in dem aktuellen BP Energy Outlook eine Steigerung des weltweiten Energiebedarfs um 37 % bis 2035 prognostiziert – und damit auch entsprechender Treibhausgassteigerungen. Die Erhöhung speist sich aus dem Wachstum der Weltbevölkerung, steigendem Pro-Kopf-Einkommen sowie dem Anschluss von weiteren Menschen an die Energieversorgung. Insofern gibt es weltweit verschiedene Energiewenden; die Begrenzung des Klimawandels wird in den Nicht-OECD-Ländern entschieden. Deutschland ist nur ein Mikrokosmos. Vor diesem Hintergrund wird „der Ausstieg aus fossilen Energieträgern langfristiger sein als viele Menschen es sich wünschen, aber auch schneller als der eine oder andere Öl- und Gasmanager es haben möchte“. Robert Oswald, Europa- und KBR-Vorsitzender der BASF SE, unterstrich die entscheidende Rolle einer ausrechenbaren Energiepolitik für Investitionsentscheidungen in der chemischen Industrie. „Preise für Strom- und chemische Einsatzstoffe sehen wir in den USA mittelfristig günstiger.“ Infolgedessen würden inländische mit Investitionen auf dem amerikanischen Markt konkurrieren. Es besteht die Gefahr „der nachhaltigen Verlagerung von Arbeitsplätzen“. Dabei sind im Chemieverbund Ludwigshafen Energieeffizienzpotenziale in den letzten Jahren in großem Umfange erschlossen worden. „Es sei ständige Aufgabe, dieses weiter zu optimieren“. Schließlich müssten BASF-Produkte soziale, ökologische und ökonomische Forderungen gleichermaßen erfüllen.Prof. Umbach, Vorsitzender der nationalen Akademie acatech, verdeutlichte anfangs, dass die wissenschaftlichen Einrichtungen beim Thema Energiewende übergreifend zusammenarbeiten und einen neutralen Beitrag der Wissenschaft liefern. Allerdings sind die Zusammenhänge im Energiesystem sehr komplex; insbesondere wenn Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte ins Auge gefasst werden. Werden bessere Alternativen entwickelt, sei in den Ministerien zudem nicht nur Wohlwollen zu verspüren. Prof. Umbach betonte: „Was wir in Deutschland anstellen, wird in der ganzen Welt aufmerksam verfolgt. Deshalb müsse alles getan werden, die Energiewende zum Erfolg zu führen.“ Bislang sind die Bemühungen von deutscher Seite aber begrenzt, international zu wirken. „Wir achten zu wenig darauf, dass andere Staaten folgen können.“ Hier besteht Verbesserungsbedarf.
In der Diskussion rückte u.a. die Frage in den Mittelpunkt, wie das nach wie vor vorhandene Innovationspotenzial der Energiewende verstärkt ins Blickfeld genommen werden kann. Angesichts des allgemeinen „Wohlfühlumfeldes“ mahnte Michael Schmidt mehr Realitätssinn in der Diskussion an. Michael Vassiliadis,Vorsitzender If.E und IG BCE, bemängelte, dass auch die Große Koalition die effizientesten und innovativsten Teile der Energiewende bislang nicht angemessen in Angriff genommen haben. Entscheidend für das Gelingen seien neuartige Speichertechnologien und Effizienzmaßnahmen insbesondere im Gebäudebereich.
Robert Oswald berichtete, dass das Öko-Institut in Freiburg bescheinigt hat, dass durch die BASF-Produkte in der Regel im Lebenszyklus mehr Treibhausgase eingespart als bei der Herstellung benötigt werden. Das Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalens Guido van den Berg ergänzte, dass im Zuge der Erstellung des Endberichts der Enquetekommission zur Zukunft der Chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen festgestellt wurde, dass industrielle Prozesse wie z.B. die Chlorchemie und chemische Produkte oftmals einen viel höheren ökologischen Beitrag leisten als bekannt. Vor diesem Erfahrungshorizont könnte ein wichtiger Baustein in der Kommunikation sein, verstärkt Produktlebenszyklen zu betrachten und hierfür entsprechende Standards zu entwickeln. Langfristig sind dadurch regulatorische Prozesse zu vermeiden.
If.E Innovationsworkshop 2015
Innovationen auf dem Weg
Hinter der bildlichen Formulierung Power-to-Gas-to-Tank steckt ein weiterer Schritt innovativer Nutzung erneuerbarer Energie. Tobias Mischlau (Legal and Compliance, E.ON Innovation Center Energy Storag) und Enno Harks (Deputy Director External Affairs Germany BP SE) zeigten auf, wie durch Elektrolyse gewonnener Wasserstoff nicht nur zu „Windgas“ weiterverarbeitet gespeichert werden kann, sondern beispielsweise auch in Raffinerien einsetzbar ist.
Wo bislang H2 aus Erdgas zur Entschwefelung von Dieselkraftstoff benutzt wird, könnte künftig der „grüne Wasserstoff“ einen Meilenstein in der Reduzierung von CO2 setzen. Wird H2 durch Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen, geht rund 105 Gramm CO2 pro Megajoule in die Luft. Beim „grünen“ H2 nur etwa 9 Gramm. So käme Windstrom in den Tank und trüge zur Reduzierung der Emissionen bei. Nur ein Beispiel von vielen möglichen industriellen Wasserstoff-Anwendungen.„Wir würden die Maßnahme großindustriell umsetzen“, sagte Enno Harks für seine Firma, „auch ohne Subventionen.“ Voraussetzung sei allerdings, das die Produktion nicht als Endverbraucher eingestuft werde: „Stromspeicher dürfen keine EEG-Abgabe zahlen!“ Am Tag des Workshops ging bei e.on derweil die Anlage „WindGas Hamburg“ in Betrieb. Der PEM-Elektrolyse-Stack ist ein Prototyp und wurde eigens für das Hamburger „WindGas“-Projekt entwickelt. Er ist etwa 30-mal kleiner als die Einheiten einer alkalischen Elektrolyse.
Im brandenburgischen Falkenhagen betreibt e.on seit 2013 eine 2 MW Alkali-Elektrolyse, die die gesamte Prozesskette – von der Aufnahme des Windstroms über die Umwandlung von Strom zu „WindGas“ bis hin zur Einspeisung in das regionale Ferngasnetz – demonstriert. In Hamburg-Reitbrook liegt der Fokus auf dem Einsatz einer neuen Elektrolyse-Technologie und deren Einführung im Energiemarkt.
Selbst der Koalitionspartner Die Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag seien mittlerweile von dem möglichen Beitrag der Chlorchemie zu innovativen Speicherverfahren überzeugt, berichtete Guido van den Berg. Der SPD-Landtagsabgeodnete leistet in einer Enquette-Kommission zur Zukunft der chemischen Industrie in seinem Bundesland Aufklärungsarbeit. „Produkt- und Lebenszyklen werden bei der Dekarbonisierung immer wichtiger. Dazu müssen hier Standards entwickelt werden.“
Thomas Trutschel (IG BCE)
Ziele nicht aus den Augen verlieren
Prof. Eberhard Umbach vertiefte das Projekt “Energiesysteme der Zukunft” in seinem Vortrag. Das Ziel der Politik sei die Energiewende gewesen, nun habe man die untergeordnete „Maßnahme“ Ausbau der erneuerbaren Energiequellen quasi zum Ersatzziel gemacht. Prof. Eberhard Umbach ging bei seinen Analysen ans Eingemachte. Er kritisierte, dass die Maßnahme EEG ihr Ziel, Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit zu verbinden, bislang verfehlt habe. Er forderte einen kompletten Paradigmenwechsel beim Erneuerbaren Energie Gesetz – statt vieler kleiner Reformen.
Der Wissenschaftler entwarf zwei Szenarien: Wenn bei der Energiewende Klimaschutz Priorität haben soll, müsse man auf jeden Fall den Anteil der Heizenergie von 30 Prozent am Gesamtverbrauch ins Auge fassen. Die Versorgungssicherheit (Europäisches Stromnetz) und der Wirtschaftlichkeitsaspekt (CO2-Zertifikatshandel) darf dabei nicht vernachlässigt werden. Wenn dagegen die beiden letztgenannten Aspekte nach vorne rücken, gäbe es weniger negative Begleiterscheinungen – und die Chance, international weitere Nachahmer zu finden ist größer. Ein „Teilziel“ sei dabei bislang grandios verfehlt worden: das Energiesparen.Um das Problem der schwankenden regenerativen Energiequellen in den Griff zu bekommen, seien aktuell 30 Terrawattstunden an Speicherkapazität nötig. Alle vorhandenen Speicherkraftwerke kommen momentan auf nur 50 Gigawattstunden. Ein Ausbau der Erdgasinfrastruktur zur Erfassung des Windgases könnte 110 TwH bringen. Wenn der Ausbau der Regenerativen bis 2050 – wie angedacht – wirklich 60 Prozent erreichen sollte, dann seien 1300 TwH nötig.
„Es ist auch in der Wissenschaft so viel Wohlwollen gegenüber der Energiewende da, dass es der Politik jetzt angeraten wäre, dies aufzugreifen“, appellierte Prof. Umbach an die Regierung. Eine klare Priorisierung und Kommunikation der Ziele und darauf ausgerichtete Maßnahmepakete seien jetzt erforderlich. „Es besteht noch viel Forschungsbedarf!“
In fünf parallelen Arbeitsgruppen wurden abschließend Detailfragen der Energiewende mit Experten aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft diskutiert. Im Zentrum standen die Themen COP21, der Strommarkt der Zukunft, Energieeffizienz und Industrie 4.0, Indikatoren für die Energie- und Industriepolitik in Europa sowie Flexibilitätsoptionen im Energiesystem durch PtX-Lösungen, der vertiefende Workshop zum Innovationsblock im Plenum.